Ich liebe bronch brachialen Jazz. Ein simples, eingängiges Up-Tempo-Thema, gern oppulent instrumentiert, und dann Volldampf voraus in die Impros. M.a.W.: Eine gewisse Rock-Attitüde, ohne im Entferntesten unter ‚Jazz-Rock‘ oder ‚Fusion‘ zu fallen. Konventionelle Jazz-Balladen im Schlafwagentempo mit bis zum Geht-nicht-mehr alterierten Akkorden hingegen lösen bei mir Gähn-Attacken aus.
Deshalb dachte ich bereits nach vier Intro-Takten von Change of the Guard, dem Opener von Kamasi Washington’s The Epic: Hier bin ich richtig!
Knallige Klavier-Akkorde mit unverkennbarem Anklang an McCoy Tyner – YEAH! Dann das eigentliche Thema: super, ebenfalls coltranesk und sofort im Ohr! Es folgt ein furioses Piano-Solo mit einem Schuss Cecil Taylor. Überhaupt ist an den virtuosen Solisten inkl. Washington himself und den Kompositionen absolut nichts auszusetzen. Trotz Überlange von 174 Minuten wird epische Werk nicht wirklich langweilig.
Das waren die guten Nachrichten. Die schlechten:
Schon das Album-Cover mit dem Maestro vor der Kulisse des Universums und zweier Planeten sollte einen stutzig machen. Der Mann ist mutmaßlicher Star Trek-Fan! Das wäre nicht weiter schlimm – ich bin’s auch. Aber besonders angetan hat es ihm offensichtlich die Titelmusik der Ur-Star Trek-Serie aus den 60-ern. Und so wird bereits das Thema von Change of the Guard von einem erbarmungslos jaulenden Chor massiv zugekleistert.
Ok, denkt man, nicht schön, aber originell; der Anfall wird wohl vorübergehen. Pustekuchen! Auch der Rest des Stücks läuft weitgehend auf diesem Space-Brei-Fundament ab. Für gelegentliche Erholungspausen ist man echt dankbar. Ok, das war’s aber auch schon mit den schlechten Nachrichten – kommen wir nun zu den ganz schlechten:
Auch der Rest des Albums wird zu gefühlten 75% mit Chor-, Streicher oder Chor-plus-Streicher-Background verunstaltet. Und zwar keineswegs irgendwie dezent, sondern brutal laut. Überhaupt ist der Mix fragwürdig: Angeblich gehen zwei Schlagzeuger zu Werke. Aber warum ist nur ein Drumset am äußersten rechten Rand zu hören? Das hat man schon vor 40 Jahren bei den Allman Brothers live im Fillmore East besser hingekriegt!
Ein winziger Lichtblick, sozusagen eine Kerze in Washington’s Universum: In einigen Stücken wird die klebrige Chor- und Strings-Masse durch eine blubbernde Clonewheel-Orgel, vermutlich eine Nord C2, ersetzt. Nun bin ich ja ausgewiesener Hammond-Fan, und der Sound an sich gefällt durchaus – bloß passt er halt nicht in die Landschaft!
Muss man sich vielleicht nur von seinen eingefahrenen Hörgewohnheiten lösen? Immerhin soll dies der Jazz des 21. Jahrhunderts sein, und Originalität hat noch nie geschadet, oder? Nun ja – auch eine Apfelmus-Herings-Pizza mit Himbeer-Kaviar-Belag ist originell; sie schmeckt halt nur scheiße! M.a.W.: Nichts gegen Eklektizismus – Jazz ist von Natur aus eklektisch. Aber es ist einfach schade um die vielen gelungenen Themen und Soli, die sich durch diesen Soundoverkill-Dschungel in die Gehörgänge kämpfen müssen!
Bei vielen Stücken wünscht man sich nichts mehr als eine Version der McCoy Tyner Big Band. Man höre sich mal Passion Dance von dieser Truppe an (‚dank‘ Gema nicht auf YouTube verfügbar) – eine ganz ähnliche Machart wie Change of the Guard, aber ungleich stimmiger und organischer. Oder Sax Chase von Washington’s (bis 2014) unverwüstlichem Lehrmeister Gerald Wilson. Geht doch!
Fazit: 3 von 5 Sternen. Dank Apfel-Music höre ich ab und zu mal rein, aber kaufen würde ich mir The Epic nicht.